Endlich wieder einmal durch eine sehenswerte Gemäldeausstellung gehen, die anderen Besucher beobachten, ihre Mimik, ihre Gestik beim Betrachten eines Bildes zu deuten versuchen und sich ganz der Entrückung hingeben ... ja, das hat sie sich für heute fest vorgenommen. Keine unaufschiebbaren familiären oder beruflichen Verpflichtungen werden sie davon abhalten. Sie ist frei, frei für die Welt der Vorstellung und Wünsche. Am frühen Nachmittag verlässt Kerstin das Haus. Um ihrer Freude ob dieser Stunden. die ausschließlich ihr allein gehören sollen, Ausdruck zu verleihen, hat sie sich schick angezogen. Sehr romantisch, so wie sie es liebt. Das weiche Tannengrün ihres weit schwingenden Kleides schmeichelt ihr. Sie fühlt sich hübsch und begehrenswert. Beschwingt macht sie sich auf den langen Spaziergang durch den Park bis hin zur Kunsthalle. Ach, es ist schon eine geraume Zeit her, dass sie jenes Haus das letzte Mal betreten hat. Es handelt sich um eine Ausstellung der konservativen Stilrichtung. Es geht um naive Malerei, für die sie schwärmt, seitdem sie sich überhaupt für Kunst interessiert. Mit strahlend - erwartungsvollem Lächeln zeigt sie ihre Eintrittskarte vor, nimmt sie dankend zurück und geht zielstrebig in den ersten Saal, in dem ein paar wenige besonders große Kunstwerke hängen. Das erste Bild, in kräftigen Farben gemalt, stellt eine alltägliche Situation auf einem Bauerhof dar. Das nächste Bild zeigt einen bunten Wiesenblumenstrauß in einer halbrunden weißen Vase vor einem anthrazitfarbenen Hintergrund. Anerkennend wandert ihr Blick über diese Werke unbekannter Künstler, deren Namen sie noch nie gehört hat, freut sich an den Farben und Formen. Sie schreitet zur gegenüber liegenden Wand und bleibt dort fasziniert stehen. Diesmal kann sie ihren Blick nicht wieder von dem Bild lösen. Es ist ein sehr großes Gemälde, etwa zwei Meter breit und ungefähr ebenso hoch. Eigentlich ist gar nichts Besonders an ihm. Eine stille, im naiven Stil gemalte Parklandschaft.Ein Aschenweg, der von vorne mittig in einer sanften Biegung nach hinten rechts das Panorama teilt, bildet den einzigen Blickfang in diesem Blätterwald. Kein Sonnenschein erhellt die Landschaft, keine am Wegesrand stehenden Blumen fesseln das Auge. Der Weg lädt ein zum Verweilen in dieser Stille, dieser Ruhe, die für die Seele so erholsam ist.
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