Er schäumte vor Wut, als diese dicken schweißigen Wurstfinger ihn so fest griffen, dass ihm fast die Luft wegblieb. Nur weil man ihm keine neue Tinte gönnte, konnte er nicht anständig schreiben. Mit einer Wucht wurde er über das Papier gekratzt, dass ihm fast die Feder barst. Er bekam einen Hustenanfall und qualsterte kurzerhand die letzte Tinte auf das Papier. So unsanft, wie es zu diesen Fingern eben passte, wurde er auf den Tisch geschleudert, dass ihm Hören und Sehen verging. Er hörte ein wildes Fluchen und vernahm wie aus weiter Ferne noch so eben das Geräusch, das beim Knüllen von Papier entsteht, als ihn Dunkelheit umfing und er sich ganz seiner Bewusstlosigkeit hingab. Er träumte von seiner Jugend. Es war eine unbeschwerte Zeit, zwar geprägt von sehr viel Arbeit, aber doch in erster Linie bestimmt durch die Liebe. Er dachte an Fülline. Sie war ein Prachtexemplar einer jungen Füller-Dame und kam zudem aus gutem Elternhaus. Sie war eine geborene Lamy und damit sogar ganz entfernt verwandt mit dem Hause Mont Blanc, zu dem er sich - nicht wenig stolz - zählen durfte. In ihrem schwarzsilbernen Gewand hatte sie ihn vom ersten Augenblick an verzaubert. Sie wirkte so schlicht aber gleichzeitig doch edel und elegant. An ihrem Knöchel hatte sie ein kleines "LAMY"-Tatoo. Ihre Klammer an der Kopfbedeckung war schlicht schwarz und sie verzichtete hier, im Gegensatz zu ihm, auf weitere Betonung ihrer Herkunft. Bei ihrer ersten Begegnung war sie noch ein wenig scheu, aber dennoch sehr geschmeichelt, dass ein Mont Blanc sich für sie interessierte. Voller Ehrfurcht hatte sie zu seinem Stern aufgeblickt, den er immer auf dem Haupte trug und nicht im Traum geglaubt, dass es tatsächlich zu einer ernsteren Liaison zwischen ihnen kommen könnte. Füller Mont Blanc wusste aber genau, was er wollte. Er wollte sie! Zuvor hatte er die Bekanntschaft einer Geha- und einer Pelikan-Dame gemacht, aber der Niveau-Unterschied war ihm auf die Dauer doch zu gravierend gewesen, als dass er es mit einer der beiden länger ausgehalten hätte. Nein, er wusste, dass Fülline nun die Richtige war, er spürte es einfach. Sie trafen sich einige Male auf dem Papier der Schularbeiten. Er konnte sehen, welche Stellen des Textes sie rot markiert hatte. Ja, sie war eigen, sie schrieb immer nur rot. Was für eine Frau! Er selber schrieb mal hier und mal da unter den Schularbeiten noch ein paar Sätze und hatte ansonsten frei. Langsam kamen sie sich näher, sie sahen sich manchmal täglich und verbrachten viele Stunden gemeinsam und schrieben auf dem gleichen Papier. Das hatte er zuvor noch mit keiner getan. Einen Abend beschloss Füller Mont Blanc nicht mehr länger zu warten. Zärtlich hakte er sich mit seiner goldenen Klemme in ihrer Klammer ein und dann war es auch schon um sie geschehen. Schnell merkten Sie, dass sie füreinander bestimmt waren. Sie wollten immer zusammen sein und teilten sich fortan ein kleines Lederetui. Es war nichts besonders, recht schlicht in einem warmen rotbraun, aber sie fühlten sich beide unendlich wohl darin. Die Zeit ging dahin, der Alltag veränderte sich mehr und mehr. Wohingegen Fülline meist im Etui bleiben musste, durfte er Seiten um Seiten schreiben. Die Tinte floss nur so aus ihm heraus. Es ging um Liebe, Hass, Vertrauen, Kinder, Enkelkinder, Krankheiten und vieles mehr. Um Alltägliches und ganz Besonderes, er schrieb wohl Tagebuch. Es war wirklich hart, er kam kaum noch zum Verschnaufen, aber er beschwerte sich nicht, weil er die Texte so sehr liebte. Er erfuhr so unendlich viel über das Leben der Menschen, es war spannend. Als Mont Blanc sah er es als seine Berufung, gerade die Dinge des Lebens, die einem Menschen besonders wertvoll und wichtig waren für ihn niederzuschreiben.
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