"Hu, huu, huh, wo seid ihr alle? Warum hilft mir denn niemand?" Dicke Tränen kullern der Kleinen über die Wangen. Aber niemand hört sie. Niemand kommt. "Weinen hilft nicht. Warten auf Hilfe wahrscheinlich auch nicht", denkt sie. Ärgerlich wischt sie sich die Tränen fort. Ängstlich - aber auch neugierig schaut sie sich um. Hohes Gras, nichts als Gras, weit und breit. "Wie soll ich hier jemals den Weg nach Hause finden! Nach Hause!" Schon ist das Heimweh da und wieder kullern die Tränen.Die großen Ferien haben begonnen. Alana und Blessing sitzen in der Küche. Mama hat ihnen das Frühstück hingestellt, bevor sie in die Stadt gefahren ist. Vormittags arbeitet sie dort in einer Buchhandlung. Sie ist gern dort. Sie liebt den Umgang mit Menschen und Büchern. "Deshalb ist sie auch mit Papa verheiratet", sagen die Kinder oft.Papa schreibt nämlich Bücher. Kinderbücher. Die verkauft Mama natürlich am liebsten in ihrer Buchhandlung."Bitte räumt das Geschirr in die Maschine, und stört Papa nicht. Er ist mit seinen Dinos beschäftigt. Spielt etwas Ruhiges. "Tausend Küsse, eure Mama", steht auf dem Zettel unter dem Nutella-Glas. "Guten Morgen, Herzensdamen. Wieso seid ihr schon auf? Es sind doch Ferien." Papa steht in der Küchentür. Liebevoll lächelt er seine Töchter an. "Haben wir dich gestört? Waren wir zu laut?""Nein, überhaupt nicht. Ich komme nicht weiter mit meiner Dinogeschichte. Trete auf der Stelle. Zu allem Überfluss ist auch noch die Hauptperson der Erzählung verschwunden. Sie hat sich einfach aus meinen Gedanken geschlichen." Papa rauft sich die stets abstehenden Haare. Seine Brille ist ihm auf die Nasenspitze gerutscht. "Das tut uns sehr Leid. Blessing und ich gehen jetzt nach draußen. Wir spielen mit unseren Barbies im Irrgarten. Dann ist es ruhig im Haus. Du kannst ungestört weiter schreiben. Sicher kommt die Hauptfigur deiner Geschichte bald wieder", tröstet die achtjährige Alana ihren Vater. "Ja, geht nur. Ach, beinahe hätte ich es vergessen. Gegen Mittag kommt ein Journalist der örtlichen Zeitung. Er möchte ein Interview mit mir machen. Möglicherweise auch ein paar Fotos von unserem Bauernhof. Von euch auch. Aber nur, wenn es euch Recht ist." "In Ordnung, Papa, sag’ Bescheid, wenn der Mann da ist."Alana und Blessing packen die Barbies samt Zubehör in eine kleine Karre. Saft und Kekse nehmen sie auch mit. Gemeinsam ziehen die Mädchen den Wagen über den Weg im Irrgarten. Der Garten ist eigentlich nur eine sehr große Wiese. Papa hat das Gras hoch wachsen lassen. Mit einer Sense dann sternenförmig sechs Wege geschnitten. Diese Wege enden alle in einem Kreis, der sich genau in der Mitte der Wiese befindet. Blessing bleibt stehen. "Hör mal, Lena, da weint jemand. Ich glaube ein Kind. Hast du heute hier irgendwelche Kinder gesehen?" "Nein, und schon gar nicht in unserer Wiese." Neugierig gehen die beiden nun sehr schnell zu ihrem Lieblingsplatz.Wer oder was ist das? Zwei Paar große, sehr erstaunte Kinderaugen blicken in die tränennassen Augen eines fremden Kindes. Wie ein Kind sieht das fremdartige Wesen dort im Gras eigentlich nicht aus.Es ist nicht viel größer als die beiden Schwestern. Seine Figur erinnert die Mädchen an den kleinen Dino auf Papas Schreibtisch. Aber es hat Arme und Hände. Keine Furcht erregenden Krallen. Die dunklen Augen in dem länglichen Gesicht sind wunderschön. Sie werden von Wimpern in allen Regenbogenfarben umrandet. Ängstlich, aber auch sehr traurig starrt das merkwürdige "Tier"die Kinder an."Gefährlich sieht es eigentlich nicht aus", denken Alana und Blessing fast gleichzeitig. Lena gibt sich einen Ruck. Verscheucht die Stille. "Wer bist du? Woher kommst du? Wieso hockst du ausgerechnet hier auf unserem Platz?" "Ich glaube, das ist ein Dino, Lena. Aber das kann nicht sein. Dinos gibt es schon lange nicht mehr", flüstert Blessing aufgeregt."Na- natürlich gibt es uns noch. Nur nicht in der Menschenwelt. Wir leben seit vielen, vielen Jahren im Land hinter dem Regenbogen", erzählt der kleine Dino schluchzend. Die Tränen kullern ihm wieder unaufhaltsam über die Wangen, fallen ins Gras. "He, wie hast du das gemacht? Schau mal, Blessing, überall wo eine Träne im Gras versickert, wächst plötzlich eine wunderschöne Blume!"Entzückt betrachten die Mädchen das Blütenmeer um den niedlichen Dino. "Das, das kann ich nur, wenn ich richtig traurig bin", antwortet das Wesen leise. Mitleidig nähern sich Alana und Blessing dem Dino. Sie trauen sich sogar, ihn zu streicheln, in den Arm zu nehmen. Schlagartig versiegen die Tränen, und auch die Angst vor diesen Menschenkindern ist verschwunden. "Vielleicht können mir die beiden helfen", überlegt das Kerlchen."Ich denke, wir haben nun keine Angst mehr voreinander", stellt Lana fest. "Dann kannst du uns ja auch erzählen, wieso du hier auf unserem Lieblingsplatz sitzt", meint Blessing freundlich."Aber vorher möchte ich wissen, wie und wo du unsere Sprache gelernt hast." "Ach das ist schnell erklärt. Wir haben jeden Tag drei Stunden Weltensprachen, in der Schule. Mir fallen Sprachen besonders leicht. Nicht nur die aus eurer Welt.", sagt Dino leicht hin und auch ein klitzekleines bisschen angeberisch."Mein Name ist Dinarella. Ich bin die Tochter des Königs aus dem Regenbogenland. Alle Mädchennamen beginnen in unserem Land mit Dina. Jungennamen mit Dino. Heute Morgen habe ich mit meinem Freund Dinobald auf der Regenbogentreppe gespielt. Eigentlich dürfen wir das nicht. Doch zufällig war das große Tor in der Mauer geöffnet. Die Mauer schützt unser Land vor den bösen, Fleisch fressenden Dinos aus dem dunklen Wolkengebirge. Dinobald ist ein wilder Kerl. Nichts und niemand macht ihm Angst. Er hat mich überredet, durch das Tor zu gehen." "Komm, wir nehmen unsere Rollflugbretter und sausen damit über die Regenbögen. Du über den Vorderen, ich über den Hinteren. Passieren kann uns nichts. Wenn wir mal abrutschen, fallen wir sicher auf die Treppe zwischen den Regenbögen." " Eine Zeit lang ging das auch gut. Bis, na ja, bis Dinobald mir plötzlich auf meinem Bogen entgegen kam. An der höchsten Stelle des Regenbogens stießen wir zusammen. Durch den Aufprall verloren wir das Gleichgewicht. Dinobald fiel auch auf die Treppe. Ich leider nicht. Kopfüber flog ich in die Tiefe. Meine Rollflugbretter lösten sich von den Füßen. Irgendwie habe ich es geschafft sie einzuholen, und mich daran fest zu halten. Zum Glück waren noch keine Fleisch fressenden Dinos unterwegs, als ich am dunklen Wolkengebirge vorbei sauste.Die Steuerung der Flugbretter funktionierte nicht. Sonst hätte ich einfach auf Höhe gestellt, und wäre nach Hause geflogen.""Sicher hast du große Angst gehabt." Mitleidig schaut die sechsjährige Blessing ihre neue Freundin an."Oh ja. Riesengroße Angst. Ganz fest habe ich meine Augen zugekniffen, mir gewünscht, dass ich nur träume. Der Wunschtraum endete, als ich auf diesen Platz aufschlug. Hat ziemlich wehgetan. Aber verletzt bin ich nicht. Das dichte, weiche Gras hat mich gut geschützt."Gut, dass du bei uns gelandet bist, Dinarella. Unser Papa schreibt gerade eine Geschichte über Dinosaurier. Er weiß wirklich eine Menge über euch. Vielleicht kann er dir helfen, nach Hause zurückzufinden.""Nicht vielleicht, ganz sicher kann Papa das." Ärgerlich klingt Blessing. Zweifel an ihrem Papa erlaubt sie nicht.Papa gehört zu den erwachsenen Menschen. Du brauchst aber keine Angst vor ihm zu haben. Er hat nämlich nicht vergessen, dass er auch einmal ein Kind gewesen ist. Deshalb schreibt er auch nur Geschichten für Kinder, glauben wir.""Da habt ihr aber Glück. Mein Papa ist der König. Er muss den ganzen Tag lang regieren, nichts als regieren", seufzt Dinarella."Aber du hast doch noch deine Mama?""Schon lange nicht mehr. Eines Tages war sie einfach verschwunden. Niemand hat sie weggehen sehen. Das erzählt meine Nanny mir immer. Wir glauben, dass Mama sich in der endlosen Dunkelheit im Niemandsland verlaufen hat. Irgendwann findet sie den Weg zu uns wieder. Nanny und ich sind davon überzeugt. Aber mein Vater und das Dinovolk glauben nicht mehr an ihre Rückkehr." Erneut füllen die schönen, dunklen Augen sich mit Tränen. Die "Tränenblumen" im Gras sind wirklich schön. Alana und Blessing möchten aber nicht, dass es noch mehr werden. Dinarella sieht sehr traurig aus, wenn sie weint."Ist die Nanny deine Kinderfrau?" Dinarella nickt. Wischt sich schnell die Tränen aus den Augenwinkeln. "Ja, eine sehr liebe sogar. Manchmal kann sie auch furchtbar streng sein. In der Unterrichtsstunde "Benimmregeln für Prinzessinnen" zum Beispiel. Sie wird richtig böse, wenn ich mal etwas falsch mache. Sicher sucht sie mich jetzt. Wahrscheinlich ist sie ziemlich sauer auf mich.""Glaube ich nicht. In unserer Welt sind die Erwachsenen zuerst auch wütend, wenn wir zu lange unterwegs sind. Sind wir wieder da, gibt es fast immer nur dicke Küsse und Umarmungen. Denk jetzt einfach nicht mehr darüber nach.Dürfen wir dir dein schönes Haar kämmen?"Dinarella hat nichts dagegen. Mit der größten Puppenbürste versuchen die Mädchen das dicke rote Haar der Kleinen in Ordnung zu bringen. Sie kämmen es aus der Stirn. Kleine spitze Ohren kommen zum Vorschein. "Mit den langen Haaren siehst du wirklich süß aus", schwärmen Alana und Blessing. Dinarella genießt die Komplimente.
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