Ich weiß nicht wo die anderen sind", sagte der alte Mann. Seine Augen waren trübe, ohne Glanz und starrten durch mich hindurch. Ich half ihm hoch. "Haben Sie die Zeit gesehen, junger Mann?", fragte er nun. "Gestern war ich noch jung, heute fällt mir das Atmen schwer und bald werde ich es gar nicht mehr können."Er drehte den Kopf in Richtung der Stelle, wo es geschehen war."Ich weiß nicht wo die anderen sind", wiederholte er und seine Stimme wurde zittriger von Mal zu Mal. Er hakte sich bei mir unter und stütze sich schwerfällig auf meinen Arm. Langsam führte ich ihn zu meinem Wagen. Ich hatte den Schreck relativ schnell überwunden. Als der Alte im Scheinwerferlicht mitten auf der Straße auftauchte, konnte ich gerade noch rechtzeitig auf die Bremse treten. Es war schon nach Mitternacht. Die Straße durch das Bruch wurde selten von Autos befahren. Der Mann konnte von Glück sagen, dass ich so spät unterwegs nach Hause war. Ich kam vom Sportplatz, wo ich mit meinen Vereinskameraden noch lange unseren Sieg gefeiert hatte.Warum ich diesen Umweg über die Waldstraße fuhr, wusste ich nicht. Ich hatte einfach Lust darauf. Und da saß er dann. Mitten auf der Straße."Wie heißen Sie? Wohnen Sie hier in der Nähe?", fragte ich ihn."Markus. Ich heiße Markus. Bringen Sie mich nach Hause? Ich will zu meinen Eltern."Ich schätzte den Alten auf mindestens siebzig, wenn nicht noch älter und es schien so, als altere er weiter, während ich mit ihm sprach."Ihre Eltern? Aber ..."Markus nahm schwach meine Hand in die seine."Bring mich nach Hause. Ich habe Angst."Erst jetzt fiel mir seine seltsame Kleidung auf. Er trug ein bunt gestreiftes T-Shirt und eine kurze, braune Hose. Außerdem war er barfüßig. Der Mann schien meinen Blick auf die Füße zu bemerken."Meine Schuhe sind plötzlich zu klein geworden. Ich habe sie ausgezogen als ich erwachsen wurde", entschuldigte er sich."Ich sollte Sie erst einmal zu einem Arzt bringen. Ich fahre Sie in die Klinik.""Ich bin nicht krank. Nur alt. Haben Sie die Zeit gesehen?", murmelte er. "Die anderen. Wo sind die anderen?""Welche anderen? Wovon sprechen sie?""Meine Freunde. Wo sind sie?""Kommen Sie. Ich fahre Sie ins Krankenhaus. Sie sind ja völlig verwirrt. Was ist nur passiert?"Markus sah mich an: "Sie waren so wundervoll. Einfach wundervoll. Aber wir mussten gehen und jetzt? Jetzt ist die Zeit weg und sie sind auch weg und meine Freunde sind weg. Alles ist weg."Der Alte bekam einen Weinkrampf und nur mit Mühe brachte ich ihn endlich dazu, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.So schnell ich konnte fuhr ich erst quer durch den kleinen Ort und dann auf die Bundesstraße 9. Ich raste Richtung Stadt, fuhr in der Tempo-30-Zone mit 100 Sachen in eine Radarfalle ("Notfall", gab ich auf dem Anhörungsbogen an und die Strafe fiel gering aus) und kam endlich in der Klinik an."Schlaganfall ist es wohl nicht. Ich glaube der Mann hat Alzheimer. Er redet ja völlig wirres Zeug", bemerkte der Arzt."Sie waren so wundervoll. Aber ich musste gehen. Meine Eltern haben doch gewartet. Und jetzt ist die Zeit weg. Haben Sie die Zeit gesehen Herr Doktor? Ich weiß nicht wo sie ist. Ich weiß nicht wo die anderen sind", murmelte Markus."Andere?", fragte der Arzt mich. "Waren da noch andere Leute, wo sie ihn gefunden haben?""Nein. Er saß allein mitten auf der Straße.""Wir werden ihn zur Beobachtung hier behalten. Wir brauchen seine Personalien. Vielleicht ist er auch aus der JVA ausgebrochen oder aus der Landesklinik ausgebüxt, da verschwinden doch ständig Irre.""Ich glaube nicht, dass Markus irre ist.""So, Markus heißt er? Nicht irre? Sehen sie sich allein diese Klamotten an. Wie für einen Teenager.""Ich glaube nicht, dass Markus irre ist", wiederholte ich nachdenklich.Zu gern hätte ich mich genauer mit dem alten Mann unterhalten, aber man hatte ihm starke Beruhigungsmittel gegeben. Ich beschloss, ihn am nächsten Tag zu besuchen, um mehr herauszufinden.
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